Rösselsprünge im Grabfeld
Donnerstag, 4. Januar 2024Das Grabfeldspringer Open hat Tradition. Bereits seit 2001 wird in Bad Königshofen (Rhön-Grabfeld) um die massive Holzspringertrophäe gespielt. Ich erinnere mich an den Beginn, damals noch im kuschelig markanten Bullaugenraum mit ca. 15 Mitspielern. Die diesjährige Austragung vom 27.12.-30.12.2023 galt jedoch als Quantensprung durch eine Rekordteilnehmerzahl von 88 Wettkämpfer:Innen. Im mittelalterlichen Schlundhaus richtete man eigens für Schachspieler einen gemeinsamen Essenstisch ein, um den temporären Gästezuwachs zu bändigen.
Bemerkenswerte Zutaten mischten sich zu einem hervorragenden Rezept für ein gelungenes Turnier unter der (Super-)Großmeisterlichen Organisation der Schachfamilie Müller. Und es müllerte allenthalben… Präzise gesetzte Worte in der Schlussrede an die zahlreichen Sieger, jüngsten oder den ältesten Schachspieler. Ein harmonisches Teilnehmerfeld, das gut gelaunt und ohne Streitfälle seinem Hobby zwischen den Jahren frönte. Eine Auszeitregelung mit „bye-Pässen“, die nicht selten gegen einen entspannenden Frankenthermenbesuch nebenan eingelöst wurden. Die Verköstigung mit leckeren Kuchen und Torten oder Handfestem, was die Synapsen der Spieler ölte und zu manchen Geistesblitzen führte. Ein großer Turniersaal mit viel Platz und Komfort, digitalen Brettern, falls nötig um analoge Papierkoordinaten angereichert 😉, ein farbenprächtig geschmückter Weihnachtsbaum auf der Empore. Alles trug zum Gelingen des Turniers mit durchweg positivem Feedback der Teilnehmer bei.
Der Dresdner Ruben Lutz haute schachtechnisch auf den Putz, stach spielerisch heraus und gewann die Konkurrenz mit 6,5 von 7 Punkten. Im letzten Jahr noch Zweiter, konnte er heuer die Plätze mit WGM Olga Babiy wechselseitig tauschen. Mit entscheidend war im direkten Vergleich – unter Damenopfer – ein hübscher Einschlag auf f6, der mit einer Turm-Läufer Zwickmühle das Remis forcierte:
Diagramm #1 – Ruben Lutz – WGM Olga Babiy, Runde 6 Remis nach 23.Lxf6 Txc2 24.Txg7+ Kh8 25.Tf7+: Ein waagerechtes Schwenkschach-Perpetuum-mobile
Ruben Lutz spielte das gesamte Turnier mit äußerster Präzision und paralysierte nicht nur seine Schachgegner:Innen mit seiner ausnehmend stoischen Ruhe. Auch kiebitzende Zuschauer senkte es beim bloßen Zuschauen den Blutdruck – und das war gut so bei den scharfen Stellungen.
Diagramm #2 – In WIM Larisa Kalinina – Ruben Lutz führte Letzterer seinen Vorteil trotz eines lebendigen Läuferpaars der Gegnerin gekonnt zum Gewinn.
Foto: Veranstalter
Internationaler Schiedsrichter und Turnierleiter Jürgen Müller sowie der souveräner Turniersieger Ruben Lutz, farblich perfekt abgestimmt mit dem Grabfeldspringer vor einer Honiglawine.
Ohne Verwendung von verschreibungspflichtigen Barbiyturaten, sondern nur mithilfe exzellenter Schachzüge knackte die Turnierzweite WGM Olga Babiy gegen Gerd Heerlein in der Auftaktrunde erfolgreich die Stellung mit 16.e4-e5 gegen die Punkte f6 und h7:
Diagramm #3 – WGM Olga Babiy – Gerd Heerlein: 16.e5 dxe5 17.Txf5! Lxf5 18.Lxf5nebst Lxh7 + –
Auf dem dritten Podestplatz sprang die 15jährige Charis Peglau, eine von sieben Kindern der www.peglauschach.de Schachfamilie. Dieser geballten Schwarmintelligenz konnten sich nur wenige im Teilnehmerfeld erfolgreich zur Wehr setzen.
Es gab während des Turniergeschehens natürlich reichlich bemerkenswerte Partien und Stellungen, die aufgrund der digitalen Verbrettung für die Nachwelt festgehalten sind, so z.B. in Runde 6 zwischen Luis Paeslack und Nils Hapke. Hier wurden bereits nach dem 13.(!) weißen Zug Dc2 zwei bewegungsunfähige schwarze Rappen zu Grabe getragen. Zwei echte Grabfeldspringer eben.
Diagramm #4 – Paeslack, Luis – Hapke, Nils: 13.Dc2 mit üblen Springer-Knebeleien
Bei dem aufstrebenden Stettener Jungstar Jakob Roth, der kürzlich noch das Nürnberger Zabo Open sensationell gewann und hier in Königshofen erneut mit 5 Punkten und Rang 9 überzeugen konnte, heißt es hinter vorgehaltener Hand, dass er deshalb so viele Partien gewänne, weil seine Gegner irgendwann im Partieverlauf den Selbstzerstörungsknopf drücken würden. Dies weiß nicht nur der Schachthurist Arthur „Thuri“ Friesen aus Wertheim zu mutmaßen. Wenn man Jakobs Partien beleuchtet, mag man an diese Art von Magie leicht glauben. Allerdings zaubert dieser auch mit fantastischen Zügen wie in der Partie gegen seinen Vereinskollegen Tilmann Schmid aus Runde zwei und eröffnet erst dadurch die Möglichkeit zu Fehltritten seiner Gegner:
Diagramm #5 – Tilmann Schmid – Roth Jakob und der Selbstzerstörungsknopf (26.Lxb6)
Tilmann führte in der Partie bereits nach Punkten (Wertung +3) mit Gewinnstellung. In schwerem Seegang und bereits wieder unklarer Stellung musste er nach Jakobs fintenreichem Springeropfer 25.- cxb3 spätestens mit 26.axb3 den Rettungsreif werfen. Stattdessen drückte er den besagten Selbstzerstörungsknopf 26.Lxb6, um nach 26.-Txc2 und nachfolgendem siebenzügigen Matt auf Grund zu laufen.
Weitere Spurenelemente an fantastischen Zügen findet man in Jakobs Partien auch in Runde 1 gegen Lokalmatador Beyersdorf:
Diagramm #6 – Roth, Jakob – Beyerdorf, Gunther. Der Rot(h)e Turm fegt den schwarzen Verteidigungswall hinweg. 24.Txg7 Sxg7 25.Dxh6 +-
Die schwarze Magie des Stetteners konnte ein anderer Unterfranke aus Sailauf, Magnus – der goldene Junker – brechen. Junker entledigte sich potzstaunend bereits im neunten Zug h2-h4 seines scheinbar überflüssigen Bauern, um ihn auf der Gegenseite gegen c5 einzutauschen, und entfesselte damit einen Sturm am Damenflügel:
Diagramm #7 – Junker, Magnus – Roth, Jakob: 9.h4 Lxh4 dxc5 frei nach dem Schach-Motto: „Wer tauschen will, will auch betrügen…“😉
Diagramm #8 Junker, Magnus – Roth, Jakob: Strahlende Schimmel – Grabfeldspringerduo
Das Tauschwerk des goldenen Junkers zahlte sich in zwei strahlenden Schimmelreitern auf d6 und e6 aus. Diese Sargnägel des schwarzen Spiels klappten nach 23.Sxe6 Lxe6 24. Txe6 Kxe6 25.Te3+Kd7 und 26.Se8 + + den Deckel zu, und es herrschte fortan Grabfeldstille auf dem Brett.
Magnus Junker allerdings wurde durch den hartnäckigen Widerstand des starken Mömbrisers Michael Pfarr in Runde 6 ausgebremst, als dieser mit dem Läufer geschmeidig dem vorstürmenden Bauernstoßtrupp h5-h6 nach d4 auswich und die weiße Dame auf h7 „einboxte.“
Diagramm #9 – Junker, Magnus – Pfarr, Michael: 32.h6 hurra! Ld4 oje! Eingeboxt und nicht mehr rausgelassen, die weiße Dame auf h7 steckt im Doppelläufertreibsand fest!
Diagramm #10 – Junker, Magnus – Pfarr, Michael
Die im tiefen Morast feststeckende weiße Dame wurde 20 Züge später in hochgradiger Zeitnot nochmal unnötig mit 53.-Lxf4 rausgelassen, um etwas Unruhe stiften zu können. Indes hätte 53.-b2 den Tag für den Schwarzen sofort bereitet, oder die Nacht wäre über Weiß sturzsenkrecht hereingebrochen – je nachdem, wie man es sieht. Am Endergebnis zugunsten von Michael änderte dies freilich nichts. Damit erspielte sich Michael Pfarr noch ein WGM last-round-Duell und wurde letztlich hervorragender Siebter.
Neben den genannten Top Scorern gab es noch zwei Lokalmatadoren aus dem benachbarten Bad Neustadt, die das Open zu ihrem Erfolg machten. Zum einen gab es Orf‘sche Festspiele.
Niklas Orf zeigte nicht nur in seiner Partie gegen WIM Larisa Kalinina strategische Weitsicht mit seinem Schwenkturm Tc1-c3-h3. Auch gegen den weißen König von Erik Skopp setzte er gekonnt die große Krabbenzange ein. Lediglich gegen den späteren Turniersieger musste sich Orf geschlagen geben.
Diagramm #11 – Niklas Orf – WIM Kalinina, Larisa 1:0, Schwenkturm
Diagramm #12 – Skopp, Erik – Orf, Niklas: 16.-Da5 17.Td2 e3! 0:1 mit der großen Krabbenzange „Da5 – e3 – Lxg3“
Weiteres Lametta auf den Schachweihnachtsbaum hängte der zweite Neustädter und ehemalige Königshofener Timo Helm, mithin zweimaliger Grabfeld Open Gewinner. Er zeigte sein Können in Runde 7 mit vollkommener Brettbeherrschung und Druck der Turmbatterie auf den Ischiasnerv des Weißen, den Bauern d3:
Diagramm #13 – Alvermann, Christian – Helm, Timo: 37.-Txd3! Brettdominanz und Stellungseinbruch am Ischiasnerv d3.
In der Endabrechnung machten dies in summa 5,5 Punkte und Rang 4.
Es gäbe noch viele Turnierhighlights zu berichten! Die Partieschätze und Fotos, alle Spiele, alle Tore, einfach alles, sind auf der Homepage https://schachclub1957.de/turniere/turnier-archiv/bad-koenigshofen-open-2023/ zeitsouverän nachschaubar 😉.
Höchst bemerkenswert ist auch die 50% Leistung von Gerhard Müller ( Jahrgang 1936!!), der als Turnierältester eine exquisite Leistung bot.
Alle Teilnehmer freuen sich in jedem Fall bereits auf die Ausspielung 2024! Weitere Rösselsprünge am Brett und Quantensprünge bei der Teilnehmerzahl sind gewiss!
KL