Weltrekord im Schachsport aus Unterfranken
Montag, 21. April 2025+++ Bezirksmeisterschaft Unterfranken in Arnstein stellt am 15.4.2025 neue Weltbestleistung auf +++
In der Regel planen Sportler ihren neuen Weltrekord genau und akribisch nach ihrem Trainingsplan. Wenn sich dann irgendwann Rahmenbedingungen und die Leistung in Vollkommenheit vereinen, ist die Weltbestleistung da. In der Welt des Schachsports ist so ein Rekord selten. Nicht so in der vorösterlichen Zeit im beschaulichen Arnstein (Main-Spessart Kreis) mit seinen 8300 Einwohnern. Der örtlich ansässige Schachclub Arnstein richtete arglos die jährlichen Bezirkseinzelmeisterschaften Unterfranken aus und wird nun weltweit große Anerkennung und Aufmerksamkeit erhalten.
Vom 12.-17.4.2025 trafen sich hier die 84 besten Schachspieler aus ganz Unterfranken, um die Titelträger zu ermitteln. Das Turnier: perfekt organisiert von Katharina Senft mit dem gesamten Schach-Team des SK Arnstein (Rahmenbedingungen siehe oben). Die Leitung: Gerold Hock aus Sulzbach am Main als Turnierleiter und der internationale Schiedsrichter Jürgen Müller vom SC Bad Königshofen sorgten für eine professionelle und leistungsorientierte Atmosphäre.
In der am Dienstag den 15. April stattfindenden Runde 6 deutete zunächst nichts auf eine Weltbestleistung hin. Start: pünktlich um 09.00 Uhr. Alle Spieltische waren besetzt. Zug um Zug ging es in den Partien Richtung Entscheidungen. Nach und nach meldeten die Spieler ihre Ergebnisse an die Spielleitung. Immer weniger Spieler verblieben an ihren Brettern und überlegten die nächsten Züge.
Nur an Brett 9: da war irgendetwas anders! Nicht so sehr die Spieler! Wolfgang Max Schmitt (SK 1933 Bad Neustadt) und Stefan Blank (Schachclub Sulzbach) sind seit vielen Jahren konstante Bekannte im Unterfränkischen Turniergeschehen.
Wolfgang Max Schmitt (links, weiße Steine) und Stefan Blank (rechts, schwarze Steine) während der Weltrekord-Partie. Bildquelle: USV/Markus Veldkamp.
Es musste etwas anderes sein, was immer mehr Kiebitze (Schach-Fachsprache für Zuschauer am Brett) an Brett 9 zog. Statt des üblichen kurz Schauen und weiter blieben alle gebannt und verdutzt bis zum Ende der Partie stehen. Durch die Festhalle Arnstein rollte die Mund-zu-Mund Propaganda und bald waren die beiden ahnungslosen Spieler an Brett 9 von Zuschauern umringt. Aber nicht nur vor Ort in Arnstein wurde mitgefiebert, gerechnet oder analysiert: alle Spiele dieser Titelkämpfe sind um 15 Minuten zeitversetzt ins World Wide Web gestellt und übertragen worden. Somit konnten weltweit alle Interessierten mit Internetzugang am PC, Tablet oder Handy dieser historischen Partie folgen.
Aber einen Schritt zurück, chronologisch sortiert: die beiden friedliebenden Akteure in dieser ungewöhnlichen Partie fanden es erst im 63. Zug sinnvoll, den ersten Bauern zu schlagen und vom Brett zu entfernen. Nicht nur, dass dieses Schicksal den meisten Bauern schon ab Zug 3 oder 4 zuteil wird: eine normale Schachpartie ist in Zug 63 schon lange gespielt und beendet. Ab dem 75. Zug spielten beide Kontrahenten zusätzlich noch unter einem enormen Zeitdruck.
Beide Gehirne erbrachten in der Folge Höchstleistungen. Die Konzentration war enorm und die Nerven zum Zerreißen gespannt. Ein Spiel gegen die Countdown-Uhr: die 30 Sekunden Zeitgutschrift pro Zug ermunterten die beiden Akteure, sich ihre Züge schnell zu überlegen und brachten dann für nachfolgende Züge etwas Polster um in kritischen Situationen genauer nachzudenken. Im Spielsaal (vergessen wir nicht die Kiebitze!): absolute Ruhe, denn nun ging es auf den 64 Feldern zur Sache. Anders ausgedrückt: es ging „rund“. Schach- Krieg auf dem Brett: nichts für Nervenschwache. Im Sekundentakt Züge, Uhr drücken, Zug notieren, Nachdenken und abwägen, weiter mit dem nächsten Zug.
Figuren rücken, Bauern schlagen, Schach bieten, Matt abwenden, Dame opfern, Dauerschach keine Option. Da waren bereits über 110 Züge gespielt. Das alleine ist schon als selten zu bezeichnen. Doch auch das war noch nicht das Ende. Erst als der 117. Zug gezogen wurde, gab der mit Schwarz spielende Stefan Blank die Partie auf. Sieger Wolfgang Max Schmitt gratulierte seinem Gegner. Den Anwesenden war klar: dies war eine ganz besondere Partie. Spielzeit: insgesamt 5 Stunden und 56 Minuten, Rekord Nr. 1 für die Unterfränkischen Meisterschaften.
Als dann am nächsten Tag noch, auf Anraten von Michael Pfarr aus Mömbris, die Computer heiß liefen, stand es am Nachmittag des nächsten Tages fest. Die Schachpartie vom Vortag war ein Weltrekord. Es wurde noch nie in einer Schachpartie der erste Bauer erst im 63. Zug geschlagen und anschließend die Partie gewonnen. Somit waren die Rekorde aus den Jahren 1927 zwischen Frederic D. Yates und Eugene Znosko-Borovsky sowie von der Junioren Weltmeisterschaft 1969 in Stockholm zwischen Kenneth Rogoff und Arthur Howard Williams übertroffen, denn diese beiden Turnierpartien endeten mit Remis, also Unentschieden. Einige wenige Turnierteilnehmer hatten Pech und konnten das Drama nicht am Brett selbst verfolgen. Deshalb verkündete der Referent für Öffentlichkeitsarbeit des Unterfränkischen Schachverbands Arthur Friesen aus Wertheim den Weltrekord vor der nächsten Runde am Mikrofon. Der Vorsitzende des Unterfränkischen Schachverbandes Dr. Markus Veldkamp, selbst vor Ort und Zeuge der Partie, zeigte sich begeistert: „Eine bessere Werbung für unseren Schachsport kann es nicht geben“ äußerte er. „Davon profitieren die Vereine, das Schulschach, alle Spieler und Trainer aber auch die gesamte Region.“
Die Endstellung auf dem Brett nach 117 Zügen!
Und somit ging Dienstag, der 15.4.2025 mit einem neuen Weltrekord in der Stadthalle zu Arnstein in die Schachgeschichte ein. Die neuen Weltrekordhalter sind Schmitt und Blank, zwei Schachsenioren, die von Kindesbeinen an diesen Sport betreiben. Wer an diesem Tag vor Ort war wird noch lange daran denken und von einer unvergesslichen Partie erzählen können.
Der 65-jährige Schmitt glaubt indes nicht, dass diese neue Rekordmarke so schnell gebrochen wird. Vielleicht ein Rekord für die Ewigkeit?
Hier noch einmal der Link zur ganzen Partie: LICHESS
(WMS/MVE)